fotos: günter richard wett
das befreiungsdenkmal in innsbruck - prozesse des erinnerns - 2016
Pro Libertate Austriae Mortuis
das befreiungsdenkmal hat in seiner anmutung über jahrzehnte den dialog verweigert. wenn die form in die irre führt, muss sprache präsent sein. an die getöteten englischen, französischen, sowjetischen und amerikanischen befreier österreichs wird nun durch die übersetzung des lateinischen satzes in deren jeweiligen landessprachen erinnert.
an den schmalseiten des denkmals werden jetzt unter der übersetzung ins deutsche -– „Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen“ -– die namen jener frauen und männer genannt, die auf grund ihres widerstandes gegen den nationalsozialismus ums leben kamen. als nun konkret benennbare menschen treten sie aus ihrer bisherigen anonymität heraus. sie erinnern aber auch an jenen symbolischen tausch, der durch die moskauer deklaration von 1943 möglich wurde – und daran, wie lange unsere gesellschaft brauchte, um aus der angebotenen und gewünschten amnesie zu erwachen.
CHG 2016
Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen - Das Befreiungsdenkmal in Innsbruck - Prozesse des Erinnerns/ Horst Schreiber und Christopher Grüner 2016
Das Befreiungsdenkmal am Eduard Wallnöfer Platz, Innsbruck
Der mühsame Umgang mit der Befreiung / Horst Schreiber in der Tiroler Tageszeitung vom 22.10.16
Die Freiheit ist ein wundersames Tier/ Steffen Arora im derStandard.at
buchpräsentation vom 3. mai 2018
das befreiungsdenkmal – schärfstein unserer erinnerungskultur - eine künstlerische intervention - 2011
«Etliche Pessimisten konnten es sich nicht versagen, zu prophezeien, daß das Denkmal sofort nach Abzug der französichen Besatzung geschleift werden würde. Wir können nun zu unserer Freude feststellen, daß dieses Monument nunmehr zum Kunstschatz der Stadt Innsbruck zählt».[1]
das befreiungsdenkmal wurde freilich von den wenigsten tirolerInnen selbst als schatz empfunden noch stellte es einen identitätsstiftenden historischen bezugspunkt dar. es zu versenken, zu sprengen, zu verhüllen, umzunutzen: die liste der vorschläge, viele aus studentischen projekten hervorgegangen, ließe sich beliebig ergänzen – das ungeliebte «franzosendenkmal» aber blieb unangetastet. im herbst 2008 wurde ein baukünstlerischer wettbewerb zur neugestaltung des eduard-wallnöfer-platzes ausgelobt, aus dem als sieger die arge laac/stiefel kramer/grüner hervorging.
die erhaltung des im besitz der republik frankreich stehenden befreiungsdenkmals war ein wichtiger bestandteil der ausschreibung. es wirkte in seiner erscheinung weniger als befreiungsdenkmal, denn als siegesdenkmal auf dem platz. der architekt der französichen militärregierung, jean pascaud, ist mit der gestaltung und positionierung des befreiungsdenkmals einer "ästhetik der topographie" gefolgt, die immer thema in der geschichte der denkmäler ist. die ähnlihckeit zum portikus des landhauses war bewusst gewählte gestalterische fortschreibung. die inhaltliche information des monuments und dessen funktion als befreiungsdenkmal wurden durch sein äusseres erscheinungsbild konterkariert. daher stellten sich die fragen:
/ wie kann man diese vorhandene double bind situation auflösen?
/ wie kann man der erhabenheit des denkmals begegnen?
/ wie kommentiert man die autoritäere, imperiale geste?
/ was war die ursprüngliche intention der erbauer?
/ kann das denkmal als schärfstein unserer erinnerungskultur dienen?
/ kann es in die gegenwart geholt werden?
die möglichkeit, die symmetrische spannung zwischen denkmal und landhaus zu lösen, bestand zum einen darin, dem denkmal eine leicht geneigte basis zugrunde zu legen, zum anderen, es in die neue topographie der sanften hügel einzubetten. diese kreieren in ihrer gesamtheit eine große Lliegende (plastik). die topographie beinhaltet die pflanzräume der bäume, ab- und aufgänge zur tiefgarage und frei geformte benutzeroberflächen: sie ist aber auch fassung für das denkmal. durch das einbetten des sockelbereichs in die bodenplastik, wurde dessen dominanter charakter gemildert.
öffnung – befreiung
nichts am denkmal wurde entfernt – nichts wurde unsichtbar gemacht. es wurde nicht zu jenem denkmal, von dem wir wünschten, dass es damals gebaut worden wäre. die öffnung der vorhandenen gitter befreit auch räumlich, die damit entstandenen tore rahmen im gegenzug teile der stadtlandschaft und ermöglichen somit neue blicke und fokussierungen.
dass widerstand und leid unter der nationalsozialistischen herrschaft einseitig von der katholischen kirche besetzt wurde, zeigte sich in der anordnung der wappen der neun österreichischen bundesländer auf den gittern in form eines kreuzes. durch die öffnung der gitter ist das kreuz dekonstruiert.
zum besseren verständnis der intention der erbauer ist die lateinische inschrift um den ursprünglich deutsch gedachten text «den für die freiheit österreichs gestorbenen» ergänzt. an den beiden schmalseiten des denkmals sind jetzt die namen jener frauen und männer zu lesen, die wegen ihres widerstandes gegen den nationalsozialismus ums leben kamen. erinnern ist immer unabgeschlossen. die hier aus der anonymität geholten namen stehen pars pro toto für all jene, von denen wir immer noch nichts wissen.
mit den bereits bestehenden, restaurierten und auf dem eduard-wallnöfer-platz neu positionierten denkmälern entstand eine erinnerungslandschaft, die zur aufarbeitung der geschichte anregen und beitragen möchte.
[1]general emile béthouart 1967 - quelle: http://horstschreiber.at/texte/befreiungsdenkmal-innsbruck
CHG 2011
die publikation zur intervention
Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen. Das Befreiungsdenkmal und die Erinnerung. Eine Intervention, hrsg. vom Amt der Tiroler Landesregierung, Innsbruck 2011. (Die Dokumentation kann kostenlos bezogen werden von der Abteilung Kultur des Landes Tirol, Sillgasse 8, 6020 Innsbruck; kultur@tirol.gv.at; 0512/508/3753 oder 3758).
Umbruch in der Tiroler NS- Erinnerungskultur / Text von Horst Schreiber
Die Vorgeschichte: Die Errichtung des Gauhauses und des Befreiungsdenkmals
Das Innsbrucker Landhaus wurde 1938/39 als Gauhaus errichtet, in dem die nationalsozialistische Regierung des Gaues Tirol-Vorarlberg und die verschiedenen Organisationen der NSDAP ihren Sitz hatten. Das pompös-monumentale Gauhaus stellt den bedeutendsten Repräsentationsbau der NS-Zeit in Tirol dar. Ein Hinweis auf diese Baugeschichte in Form einer Erklärungstafel fehlt bis heute. Der Nazibau wartet noch auf eine architektonisch-künstlerische Intervention, die eine zeitgenössische Antwort auf seine imperial-faschistische Architektur gibt.
Als die französischen Truppen im Juli 1945 die US-Streitkräfte als Besatzungsmacht in Tirol und Vorarlberg ablösten, fasste der Chef der französischen Militärregierung, Pierre Voizard, den Plan zum Bau eines Befreiungsdenkmals. Es sollte an die Tiroler WiderstandskämpferInnen und die gefallenen alliierten Soldaten erinnern, die ihr Leben für die Freiheit Österreichs opferten. Der Bebauungsvorschlag von Major Jean Pascaud, dem Architekten der französischen Militärregierung, sah das Denkmal in der Mitte einer Parkanlage vor. Für den Bau wurden die Häuser des ins Auge gefassten Areals, die großteils während der Bombenangriffe auf Innsbruck beschädigt worden waren, bis zur Salurner Straße abgetragen. Die monumentale Wirkung des Gauhauses (Neues Landhaus) entfaltete sich daher erst durch diese Räumung und den Bau des Befreiungsdenkmals 1946–1948.
Die Tiroler Seite beeinflusste die Ästhetik des Denkmals im Sinne einer christlichvaterländischen Heimatkunst wesentlich mit. Der Innsbrucker Schlossermeister und ÖVPStadtrat Anton Fritz gestaltete die Gitter zwischen den Pfeilern des Denkmals, indem er die
Wappen der neun Bundesländer in Kreuzform anordnete. Dadurch wurden Befreiung und Widerstand unter ein religiöses Vorzeichen gestellt und so einseitig für die katholische Kirche vereinnahmt. Emmerich Kerle entwarf den Tiroler Adler mit dem österreichischen Bindenschild, der auf dem Denkmal thront. Die Inschrift des Denkmals wurde nicht gemäßdem Vorschlag der französischen Kontrollmission auf Deutsch verfasst, sondern auf Wunsch des von 1934 bis 1960 amtierenden Tiroler Landeskonservators Oswald Graf Trapp auf Latein: „PRO LIBERTATE AUSTRIAE MORTUIS“ (Den für die Freiheit Österreichs
Gestorbenen). Dadurch wurde der inhaltliche Zugang zum Befreiungsdenkmal erschwert undseine Bedeutung ein gutes Stück unkenntlich gemacht.Das 1948 fertiggestellte Denkmal wurde offiziell nie eröffnet. In der Tiroler Öffentlichkeit war
es wenig akzeptiert und wurde abwertend als „Franzosendenkmal“ bezeichnet. Als Symbol für den Widerstand und die Befreiung vom Nationalsozialismus stellte das Denkmal keinen identitätsstiftenden historischen Bezugspunkt dar, das kulturelle Gedächtnis Tirols wurde von der Erinnerungskultur der Kriegerdenkmäler bestimmt. Ende der 1940er Jahre wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus bereits wieder in die Nähe des Landesverrats gerückt, das Befreiungsdenkmal mit seiner Ehrung des Widerstandes gegen das NS-Regime als Fremdkörper empfunden. Auch die ästhetische Dimension des Befreiungsdenkmals ist nicht unproblematisch. Der französische Architekt Pascaud hatte das Denkmal in der Form eines „Siegestores“ geplant, das in der Tradition der Triumphbögen steht, ohne jedoch ein Triumphdenkmal für die französische Besatzungsmacht darzustellen. Der Portalbereich des im nationalsozialistischen Architekturverständnis errichteten Landhauses (Gauhaus) weist Ähnlichkeiten mit Hitlers Reichskanzlei in Berlin auf und wird im Befreiungsdenkmal gespiegelt. Diese Wiederaufnahme architektonischer Elemente des NS-Baues führte dazu, dass das Befreiungsdenkmal, das inhaltlich die Antithese zum Nationalsozialismus ausdrücken soll, als Fortführung der Gauhausarchitektur erscheint. Dies wurde dadurch erreicht, dass das Portal und das Denkmal genau auf einer Achse liegen, gleich breit sind und eine ähnliche Senkrechtteilung aufweisen.
Mit den Jahren entstand im Südbereich des Landhausplatzes eine konzeptlose, beliebige Aneinanderreihung von Denkmälern mit dem Gedenkstein zur Erinnerung an die Übergabe der Grafschaft Tyrol an die Herzöge von Österreich, mit dem „Vereinigungsbrunnen“, der die Eingemeindung von Pradl, Wilten, Hötting, Mühlau, Amras, Arzl, Igls und Vill symbolisiert,
und mit dem Pogrom-Denkmal, das die Ermordung von vier Innsbrucker Juden im November 1938 („Reichskristallnacht“) thematisiert.Der Bau der Tiefgarage Mitte der 1980er Jahre mit der damit verbundenen großformatigen Pflasterung verstärkte die Eintönigkeit des Platzes und den Eindruck unnahbarer Herrschaftsarchitektur. Am Landhausplatz, seit 1994 in Eduard-Wallnöfer-Platz umbenannt, war über Jahrzehnte ein Unort entstanden, der weder beliebt noch belebt war, der weder seiner Funktion als Erinnerungsort noch seiner Funktion als Erholungsraum gerecht werdenkonnte.
2007 unternahm die Tiroler Landesregierung erste konkrete Schritte für eine Neuplanung, die schließlich unter Landesrat Christian Switak in die entscheidende Umsetzungsphase gelangte. Im Herbst 2008 wurde ein baukünstlerischer Wettbewerb zur Neugestaltung desEduard-Wallnöfer-Platzes ausgelobt, aus dem als Sieger die ARGE LAAC/Stiefel Kramer/Grüner hervorging.
Die Veränderung: freigelegte Erinnerungslandschaft und urbaner Bewegungsraum. Die architektonisch-formale und inhaltliche Herausforderung war enorm. Zum einen verfügte der Landhausplatz über keine Grenzen und ist mit Ausnahme des von Lois Welzenbacher gebauten Verwaltungsgebäudes auf allen Seiten von architektonischer Banalität umgeben.
Der neu zu gestaltende Platz musste also dermaßen verfasst sein, dass er sich aus sich selbst heraus behaupten konnte. Zum anderen ging es darum, sich erinnerungspolitisch mit dem Landhaus als NS-Bau und dem Befreiungsdenkmal als Spiegelung des Eingangsportals des Landhauses auseinanderzusetzen. Die Dominanz dieser beiden Objekte repräsentierte nicht nur die Last der Vergangenheit, die nach einem geschichtssensiblen neuen Umgang verlangte, sondern erzeugte auch eine bedrückende Atmosphäre, die den PassantInnen die Lust zum Verweilen vergällte.
LAAC/Stiefel Kramer/Grüner präsentierten daher im Gegensatz zu den anderen BewerberInnen kein gärtnerisches Projekt, welches das Denkmal hinter Bäumen verborgenund so die Chance einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit dem steinernen Erbe des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit vertan hätte. Sie diskutierten die historische Dimension des Landhausplatzes mit dem Verfasser dieser Zeilen und entschlossen sich zu einer künstlerischen Intervention am Denkmal, die vorsichtige Veränderungen vornahm, ohne es in seiner zeitgebundenen Entstehung unkenntlich zumachen. „Nichts am Denkmal wurde entfernt – nichts wurde unsichtbar gemacht. Es wurde nicht zu jenem Denkmal, von dem wir wünschten, dass es damals gebaut worden wäre.“, so Christopher Grüner.[1]
LAAC/Stiefel Kramer/Grüner schufen eine urbane Bodenplastik, die sich als „Topographie sanfter Hügel“ über den Platz erstreckt, ihn bewegt und eine neuartige Landschaft kreiert, die einen spannenden Gegensatz zur Umgebung bildet. Darin eingebettet ist das Befreiungsdenkmal, dem eine leicht geneigte Basis zugrunde gelegt wurde, welche die Symmetrie zwischen Denkmal und Landhaus bricht. Durch die Einbeziehung des Sockelbereichs in die Bodenplastik fielen mehrere Stufen weg. Diese Niveauveränderungen milderten den imperialen Charakter des Befreiungsdenkmals.Christopher Grüner betont, dass die GestalterInnen eine unbändige Lust verspürten, zu modellieren, etwas Neues, Schräges zu bauen und einen urbanen, demokratischen Platz zu schaffen, auf dem sich die BürgerInnen offen und ungehindert sichtbar treffen, bewegen und
aufhalten können. Es ging jedoch nicht darum, etwa eine italienische Piazza durch die Verwendung von Natursteinplatten nachzuahmen. Die Materialwahl, die auch auf ein interessantes, spannungsgeladenes Subthema verweist, fiel auf Beton und stellte eine gewaltige technische Herausforderung dar. Die in Beton gegossene Bodenplastik erweist sich nicht nur als futuristische Landschaft, die völlig neue Ausblicke und Perspektiven ermöglicht im Vergleich zur bisherigen einschüchternden Geschlossenheit des Platzes, der 1972 durch den Bau des Hochhauses des Hotels „Holiday Inn“ (heute „Hilton“ und Casino)
seinen einzigen schönen Ausblick verlor. Sie verweist in ihrer äußeren Beschaffenheit eine Schwemmlandschaft und erinnert daran, dass die Stadt Innsbruck auf einem derartigen Schwemmland gebaut wurde.[2]
Die Niveauveränderungen am Platz wurden auch für die Pflanzräume der Bäume benötigt.Sie sind eine Antwort auf das fehlende horizontale Grün, das in der Kritik an der Bodenplastik verlautet wird. Auf dem neuen Eduard-Wallnöfer-Platz werden schließlich
deutlich mehr Bäume stehen als bisher, die künftig für zusätzliche Abwechslung und Bereicherung in seiner Funktion als Erholungsraum sorgen werden. „Wir schaffen hier öffentlichen Raum ohne Konsumzwang und pflanzen nicht weniger als 36 Bäume. Auch die Denkmäler sollen wieder eine wichtigere Rolle bei der Inhaltlichkeit des Platzes spielen. Darauf legen wir besonderen Wert“, betont Kathrin Aste.[3]
In der Tat stärkte die Umgruppierung der Mahn- und Denkmäler die Funktion des Eduard- Wallnöfer-Platzes als Erinnerungslandschaft ungemein, während er gleichzeitig auch als Ort der Begegnung gewann. Das Pogromdenkmal wurde vom südlichen Ende des Platzes stärker ins Zentrum gerückt und wahrnehmbarer gemacht, sodass ein stimmigerSinnzusammenhang der auf den Nationalsozialismus Bezug nehmenden Erinnerungslandschaft hergestellt wurde. Täterbau, Widerstandsdenkmal und Opfermahnmal stehen nun in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zueinander. Der Blick auf diese Vergangenheit wurde geschärft, eine neuartige, bewusstere Rezeption ermöglicht. Die beiden restlichen Denkmäler wurden aus dem sie umgebenden Unkraut und Staudengewirr freigelegt. Ihre Verschiebung bewirkte zweierlei: Einerseits wurde die bisherige Beliebigkeit der Erinnerungslandschaft aufgelöst. Die beiden Objekte wurden dezent an die Peripherie des Platzes verlegt, ihrer nachrangigen Bedeutung im öffentlichen Gedenken im Vergleich zu den anderen Denkmälern wurde somit Rechnung getragen.
Andererseits erfolgte eine Stärkung des Wallnöfer-Platzes in seiner Rolle als Begegnungsort. Dies kommt in besonderem Maße auch durch die Dislozierung des Vereinigungsbrunnens zum Ausdruck. Er wurde von seiner ihn verunstaltenden gekachelten „Wanne“ befreit und auf einer schräg abfallenden wasserführenden Fläche neu platziert. Auf diese Weise kommt
der Brunnen auch in seinem künstlerischen Gehalt weit besser zur Geltung. Die Personalisierung des Widerstandes: aus der Anonymität herausgetreten.
Doch kehren wir zum Befreiungsdenkmal selbst nochmals zurück. Die schmiedeeisernen
Gitter mit der Anordnung der Bundesländer in Form eines Kreuzes zeugen vom beachtlichen Standard Tiroler Schmiedekunst, inhaltlich war diese Zeichensetzung jedoch äußerstfragwürdig, da sie den nicht katholisch motivierten Widerstand ausschloss. LAAC/StiefelKramer/Grünerentschlossen sich zu einem bemerkenswerten Eingriff. Durch die Öffnung der Gittertore, die jedoch nicht entfernt wurden, sondern weiterhin zu sehen sind, befreiten siedas Denkmal von dieser einseitigen Interpretation, die dem konservativen Tiroler Geschichtsverständnis der Nachkriegszeit entsprach. Dazu stellt Landesrätin Beate Palfrader fest: „Die Öffnung der Tore vermittelt eine deutliche Botschaft: Die Offenheit unserer Gesellschaftist eine wesentliche Bedingung unserer Freiheit. Die Öffnung der Tore des Denkmals ist aber auch ein Bekenntnis des Landes Tirol: Unsere Geschichte ist nicht abgeschlossen, wir sind offen für Veränderungen und bereit, uns auch immer wieder auf eine kritische Prüfung unseres Herkommens und unserer Werte einzulassen. – Dies sind wir den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen (…) schuldig.“[4]
Ein weiterer erwünschter Effekt der Öffnung der einst geschlossenen Tore bestand darin, dass das Denkmal nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich befreit und begehbar wurde. Der Platz gewann dadurch an Leichtigkeit. Das Denkmal teilt die neue Landschaft nicht mehr in zwei Hälften, sondern fügt sich harmonischer in den Ort ein. Somit sind nicht nur unverstellte Blicke möglich, besonders die Jugend verfügt nun über einen öffentlichen Raum, wo sie sich trifft und skatet. Diese Inbesitznahme des Ortes ist von den VerantwortungsträgerInnen des Landes nicht nur geduldet, sondern durchaus gewollt. Eine weitere bedeutsame Veränderung am Befreiungsdenkmal betrifft seine beidenSchmalseiten. Zum besseren Verständnis ist die lateinische Inschrift übersetzt: „Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen“. An den Seitenwänden befinden sich nun die Namen jener Frauen und Männer, die wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus umsLeben kamen. Der Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Landesgruppe Tirol, hatte bereits vor Jahren eine Initiative gestartet, um dem Widerstand gegen den
Nationalsozialismus ein Denkmal zu setzen, dem sich auch der ÖVP-Verband der Freiheitsund WiderstandskämpferInnen anschloss. Nach der Präsentation der Neuplanungen rund um das Befreiungsdenkmal wurde von der Errichtung eines neuen Denkmals Abstand
genommen.
Nach Gesprächen von Ernst Pechlaner, zu diesem Zeitpunkt Klubobmann der SPÖ-Tirol, mit Christopher Grüner und Horst Schreiber kam es zur Einigung, dass zur Gewährleistung einer respektvollen und würdigen Erinnerung die Namen jener TirolerInnen, die wegen ihres antinationalsozialistischen Verhaltens ums Leben kamen, am Denkmal angebracht werden sollten. Indem sie als konkret benennbare Menschen dem Vergessen entrissen werden, treten sie ins kollektive Gedächtnis und in die Erinnerungskultur Tirols ein. Landesrätin Beate Palfrader beauftragte Schreiber schließlich mit der entsprechenden Recherche, die er
gemeinsam mit Martin Achrainer, Christian Mathies und Oliver Seifert in Angriff nahm. Eruiert wurden 107 Männer und Frauen, die bewusst eine Handlung gegen dienationalsozialistische Herrschaft, ihre Ansprüche und Normen setzten, wegen der sie
gewaltsam ihr Leben verloren. Die Auswahl wurde nicht auf den organisierten politischen Widerstand beschränkt. Die weiter gesteckte Definition von Widerstand entspricht zu einem guten Teil dem Verständnis der ersten Nachkriegsjahre, wie sie auch von der Republik Österreich herangezogen wurde, um den eigenen Beitrag zur Befreiung unter Beweis zu stellen. Widerstandshandlungen dienten zur Legitimation Österreichs, der Freiheit und Eigenständigkeit des Staates. Aufgenommen wurden daher TeilnehmerInnen des politischen Widerstands von SozialdemokratInnen, KommunistInnen, Katholisch-Konservativen und LegitimistInnen, Widerstandshandlungen von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, Priestern und Zeugen Jehovas sowie der militärische Widerstand bei Kriegsende. Aufgenommen wurden auch die so genannten „Spanienkämpfer“, die ums Leben kamen. Die meisten von ihnen sahen ihren Kampf gegen den spanischen Faschismus als Fortsetzung ihres Engagements gegen Faschismus und Nationalsozialismus in Österreich. In erster Linie waren die in Tirol stattgefundenen Widerstandshandlungen zu dokumentieren; darüber hinaus aber auch Widerstand von TirolerInnen außerhalb des Landes. Es sind allerdings nur
wenige Fälle von Widerstand außerhalb Tirols bekannt. Eine Begleitpublikation dokumentiert die Widerstandstätigkeit des berücksichtigten Personenkreises in kurzen biografischen Abrissen.
Die Namen der 107 widerständigen Menschen bestehen aus lasergeschnittenen Aluminiumbuchstaben, die auf das Denkmal geklebt sind.[5] Damit ist auch problemlos eine Erweiterung der Namen gewährleistet, denn die Recherche ist naturgemäß
unabgeschlossen.
Der in der Ukraine geborene Franzose Adolphe Mouron, der sich A. M. Cassandre nannte, veröffentlichte anlässlich der Pariser Weltausstellung 1937 die Erfolgsschrift „Peignot“.[6] Die Schrift, die Markus Weithas anregte, fand für die Anbringung der Namen am Denkmal deshalb Verwendung, weil sie modern, einfach und klar, und vor allem nicht imperial wirkt. Zudem ergibt sich eine Verbindung zu Frankreich als Auftraggeber des Befreiungsdenkmals.
Vor dem Denkmal wurde am Boden der Plastik eine Hinweistafel angebracht, die auf die Baugeschichte des Objekts Bezug nimmt.
Der Eduard-Wallnöfer-Platz war bis vor kurzem ein unbelebter und vergangenheitsbelasteter Unort. Er konnte weder seiner Funktion als Ort der Erinnerung noch seiner Funktion als Ortder Erholung und Kommunikation gerecht werden. Heute präsentiert er sich als eigenständiger urbaner Raum, welcher der Monotonie seiner Umgebung ein kühnes, großstädtisches Flair verleiht, jung und alt zum Schauen, Sport und Verweilen einlädt. Wir begegnen einem Möglichkeitsraum, der eine vertiefte kulturelle Nutzung nahelegt, intelligent bespielt werden möchte und zum Aufstellen von Sitzgelegenheiten anregt, ähnlich den
„Enzis“ und „Enzos“ im Wiener Museumsquartier. Darüber hinaus ist ein verdichteter Erinnerungsraum entstanden, der die NS-Vergangenheit und seine Rezeption sichtbarer macht und als Lernort zur Verfügung steht, der auch zunehmend von Schulklassen in
Anspruch genommen wird.
Literaturhinweise:
Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen. Das Befreiungsdenkmal und die Erinnerung.
Eine Intervention, hrsg. vom Amt der Tiroler Landesregierung, Innsbruck 2011. (Die
Dokumentation kann kostenlos bezogen werden von der Abteilung Kultur des Landes Tirol,
Sillgasse 8, 6020 Innsbruck; kultur@tirol.gv.at; 0512/508/3753 oder 3758).
Schatz, Julia: Platz für die Stadt. Neugestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes in Innsbruck,
in: Archithese 41, Nr. 2 (2011), S. 58-61. (http://www.nextroom.at/article.php?id=34290)
Zur typografischen Gestaltung der ergänzenden Inschriften am Befreiungsdenkmal am Landhausplatz - Markus Weithas 2016
To those who died for Austrian freedom
Погибшим за свободу Австрии
Pour ceux qui sont morts pour la liberté de l’Autriche
Einige Gedanken, die am Anfang der typografischen Gestaltung der Inschrift für dieses Denkmal standen:
Als eine der vier Mächte, die Österreich aus der NS-Diktatur befreit haben, ermöglicht die Regierung Frankreichs der Tiroler Bevölkerung die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die wiedergewonnene Freiheit und die endgültige Abkehr von Diktatur und Faschismus. Grundlage dafür ist die Sonderrolle Österreichs im NS-Regime laut Moskauer Deklaration: „ (…) dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll. (…) Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“ Errichtet 1948, wurde das Denkmal bis heute nicht offiziell eingeweiht.
Dieser zeitgeschichtliche Aspekt ergibt semantische Aspekte, die bei einer Gestaltung berücksichtigt werden können.
Zeichen per se haben keine Bedeutung - sie erhalten sie per Konvention. Geht man von den Überlegungen aus, die, ausgehend von Charles William Morris' Verwendung des Begriffes „Semantik“, seit dem Strukturalismus zum Begriff Zeichen geführt wurden, so bringt genau die konventionelle Bedeutungszuweisung eine wesentliche Metaebene bzw Zusatzinformation mit sich. Diese Bedeutung ist nicht nur im Wortzeichen, sondern auch auch in der spezifischen formalen Gestaltung einer Typografie eingeschrieben. Somit sind in der Typografie auch die mit den technischen Veränderungen im Laufe der Geschichte einhergehenden gestalterischen Möglichkeiten mit eingeschrieben.
Frankreich hat Wesentliches zur europäischen Schriftgeschichte beigetragen. Beginnend mit Jean-Claude Garamond, dem Schöpfer der französichen Renaissance-Antiqua, die heute noch als Leseschrift alltäglich verwendet wird, über die Festlegung der typografischen Maßeinheiten durch Firmin Didot, Jean Fournier, der im Manuel typographique 150 Schriften der damals bekannten Sprachen geschnitten hat, bis hin zur Univers, die zwar vom Schweizer Typographen Adrian Frutiger, aber vom französischen Schriftenverlag Deberney und Peignot herausgegeben wurde, wurden hier Marksteine gesetzt.
Die Denkmalsschrift schlechthin, die „Trajan“ wurde in Rom auf der Trajanssäule in Stein gemeißelt. Bekannt als Capitalis monumentalis steht sie für die römische Herrschaft und findet sich bis in die Jetztzeit auf vielen Denkmälern. Auch für die Inschrift auf der Nordseite des Befreiungsdenkmals wurde die Capitalis monumentalis, zentriert gesetzt, gewählt.
In den 20er Jahren des 20. Jhdts findet im Umfeld des Bauhaus unter Jan Tschicholds „neue typographie“ ein formal-ästhetischer Paradigmenwechsel statt. Den Serifen-, Fraktur- und Egyptienne-Schriften stellt er die serifelose Linearantiqua als besser dem Zeitgeist entsprechende Schrift gegenüber. Bekannte Entwürfe zu einer modernen Schrift stammen auch von Herbert Bayer, er entwarf das Universal-Alphabet.
1927 wurde mit Paul Renners Futura die damals wohl modernste Schrift im europäischen Raum veröffentlicht. Als überzeugter Antifaschist und Humanist hat er die damals aktuellen Strömungen im politischen u ästhetischen Diskurs auch in seine Entwurfskonzepte aufgenommen. Er war nicht nur Typograph und Lehrer, sondern auch Autor. In seinem Buch „Kulturbolschewismus“ greift er massiv die Kulturpolitik des Dritten Reichs an. Die Futura wurde sehr rasch zum internationalen Bestseller. Unter anderem in Wien, Prag und New York wurde sie sehr schnell für die Vermittlung der modernen Botschaften der Zeit verwendet. Unter dem Namen "Europe" wurde die Futura auch in Paris bei Deberny und Peignot aufgenommen. Eine gestalterische Besonderheit bei der Futura ist, dass Renner bei allen dem Zeitgeist entsprechenden, modernen Besonderheiten der Schrift sich bei ihrer Gestaltung auf die Grundformen der Trajan bezieht.
Zehn Jahre nach der Futura erschien 1937 in Frankreich bei Deberny und Peignot anlässlich der Pariser Weltausstellung die „Peignot“ von Adolphe Mouron Cassandre. Viel mehr durch seine Plakate (Etoile du nord, Dubonnet) bekannt, gestaltete er mit der Peignot eine Schrift, die die damalige ästhetische Debatte aufnimmt.
Im speziellen Kontext mit diesem Denkmal ist der Bormannerlass von 1941 zu erwähnen. In diesem von Martin Bormann unterzeichneten Erlass wird die „Schwabacher Judenletter“ verboten und für sämtlichen Schriftverkehr Antiqua Schriften vorgeschrieben.
Alle vorgenannten Aspekte weisen auf den medialen Aspekt einer Typografie hin.
Der Medienbegriff entstammt der Aisthesis-Lehre in dem Sinne, dass unter „Medium“ jene Materialität verstanden wurde, die, der Wahrnehmung entzogen, Wahrnehmung zuallererst ermöglicht. Medien vermitteln ohne selbst unmittelbar zu sein. (zit. nach Mersch, Medientheorien). Die Form der Typografie ist somit jene mediale Meta-Ebene, die Information weiterträgt, ohne bewusst wahrgenommen zu werden.
Da die formale Beschaffenheit einer Typografie in ihrer Entstehungsgeschichte festgelegt ist, ist dieser Aspekt im Kontext der Verwendung auf einem Denkmal gesondert zu beachten. Die Form einer Schrift wird als Teil der Botschaft unbewußt mitgelesen.
So fiel die Wahl auf die Schrift „Peignot“ von Adolphe Mouron Cassandre. A. M. Cassandre war ein für damalige Verhältnisse „echter“ Europäer. Geboren in der Ukraine, Ausbildung und berufliche Tätigkeit in Paris, Wirkkreis bis in die USA. Die Nähe des slawischen Sprachraums zum lateinischen war bis zum Hitler-Regime, dem Ende des 2. Weltkriegs und der darauf folgenden Phase des Kalten Kriegs bis 1990 (Charta von Paris) Teil der europäischen Kulturgeschichte.
Die Peignot ist eine moderne Schrift, eine sogenannte serifenliose Linear-Antiqua. „A.M. Cassandre designed Peignot in the 1930s and the font reflects a feel of the times. It is a product of the New Typography, to which Bauhaus artists like Moholy-Nagy contributed.“ (www.fontshop.de)
Dieses Zitat aus der Homepage des Schriftanbieters Fontshop weist auf die Nähe Cassandres zu den Entwicklungen, die im vorfaschistischen Europa im Rahmen des Bauhauses durch Persönlichkeiten wie Moholy-Nagy, Tschichold und Renner im Gange und spätestens mit 1938 beendet waren.
Nachdem bei einem Vor-Ort Versuch mit 1:1 Schriftenplots aus formalen Gründen, nicht aus semantischen, Futura und Avenir (vom Schöpfer der Univers, Adrian Frutiger) ausgeschieden waren, bewies sich die Peignot als zum Bauwerk passende Schrift. Obwohl sie mit den betonten Ober- und Unterlängen der Minuskeln vor allem als Akzidenzschrift gedacht war, ist sie bei ausschließlicher Verwendung der Versalien sehr klar und ruhig. Vor allem der Strichstärkenkontrast der Peignot demi passt perfekt zum Bauwerk, das die selben Proportionen bei den verschiedenen Wandstärken aufweist.
Da die Errichtung des Denkmals ein friedlicher Gruß der französischen Regierung an die Tiroler Bevölkerung war, kann die Verwendung der Peignot als französischer Schrift als eine – allerdings für Typografie-Unkundige nicht lesbare – freundliche Geste an die Gönner verstanden werden.
Die linksbündige Platzierung der Schrift ist dem bekannten „Typografiestreit der Moderne“ zwischen Max Bill und Jan Tschichold geschuldet. Ehemals Schüler und Lehrer am Bauhaus, haben sie kurz nach Ende des 2. Weltkriegs eine intensive Debatte über „Dogmen“ in der typografischen Gestaltung geführt. Darin wird von Bill die Zentralachse absolutisischen Systemen zugeschrieben. Kontrastierend zur zentralachsig gesetzten nordseitigen Inschrift wird hier in diesem Sinne ein Statement gesetzt.
Einen Nachteil hat die Peignot: in ihrem Zeichenvorrat fehlen kyrillische Lettern. Mit der in München lebenden russischen Grafikerin und Typografien Victoria Sarapina wurde eine Expertin gefunden, die gemeinsam mit dem russischen Typografen Tagir Safayef die fehlenden russischen Lettern gestaltete und auch das Kerning (die Zurichtung des Buchstabenabstandes) übernahm. Somit hat die Schrift des ukrainisch-stämmigen Gestalters der Schrift nun ihre kyrillische Ergänzung gefunden.
Wird diese Umsetzung der drei Zeilen als Annäherung an das Ziel, ein(e) friedliche(s), groß gedachte(s) Europa (Welt) mit Bedacht auf die Erhaltung der demokratischen Werte zu leben verstanden, so ist die Arbeit gelungen. Die Unaufgeregtheit, mit der die Inschrift durch die Medien bisher „nicht“ wahrgenommen wurde, möge dafür sprechen.